Montag, 22. Februar 2016

Tag 9

Um viertel nach 6 gehe ich wie jeden Morgen aus dem Haus und heute komme ich um viertel nach 8 abends vollkommen ausgehungert, erschöpft, bepackt mit Einkäufen, aber voller interessanter Erlebnisse nach Hause. Die oberste Ecke des Baguettes fehlt, weil ich die vor lauter Hunger schon ganz mama-mäßig (jeder der schon mal bei uns war, wenn meine Mama abends nach der Arbeit vom Einkaufen kommt, weiß was ich meine) auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause aufgegessen habe und zum Glück wartet zu Hause ein Topf Reis, Avocado und Spiegelei auf mich. Kolumbianische Mamas haben schon was. Die Tatsache, dass ich das alles mit dem Löffel esse zeigt mir, dass ich nun wirklich angekommen bin im südamerikanischen Leben.

Von 7.20 Uhr bis 13 Uhr machen María Alejandra, die Logopädin und ich dort weiter, wo wir am Freitag aufgehört haben. Wir beobachten die Kinder und machen uns bei auffälligeren Kindern Notizen, um sie uns nächste Woche noch mal genauer anzuschauen. Meine Mäuse-Kinder sind ganz verwundert, dass ich jetzt gar nicht mehr bei ihnen in der Gruppe bin, denn nach einer Woche haben sie sich scheinbar so an mich gewöhnt, dass es für sie unvorstellbar ist, dass ich an der Schule noch was anderes mache, als nur mit ihnen zu spielen. Ab 13 Uhr beginnt der Teil des Tages, dessen Erlebnisse womöglich für die restliche Blog-Woche reichen würde, aber lediglich für all meine Logos interessant wären.

Einer der 40 Schulbusse des Colegios bringt die Logopädin und mich zu ihrer Praxis, die in einem schicken Ärzte-Haus im Norden untergebracht ist. Auf dem gleichen Flur arbeitet noch ein Psychologe, eine Audiologa und die angeblich beste Myo-Therapeutin ganz Kolumbiens, die ich morgen kennenlernen werde. Der Therapieraum lässt eindeutig keine Wünsche offen. Der Spiele- und Materialschrank ist ziemlich faszinierend und die Therapie und Patienten von María Alejandra erst recht. Ich sehe alles vom typischen Lispeln über auditive Wahrnehmungsstörungen und Zügen von Autismus bis hin zu Cochlea Implantat-Trägern in jeder Altersstufe. Es gibt Einzel- und Gruppentherapie und zwischen den Patienten keine einzige Pause. Die Therapieabläufe sind wie zu Hause auch und auch die Übungen ähneln sich sehr - nur eben alles auf Spanisch. So gibt es meinem Notizbuch nicht nur eine Seite mit Ideen, die ich mitnehme, sondern auch eine Seite mit neuen Vokabeln. Denn das ein oder andere Wort fehlt mir dann doch. Trotzdem lässt mich María Alejandra auch selbst Therapie machen. Und so sitze ich da, halte auf einer anderen Sprache Therapie und bekomme das süßeste Kompliment vom letzten Patienten des Tages, der sagt, dass ihm mein leichter Akzent wesentlich besser gefällt, als das perfekte spanische Spanisch aus Spanien aus der Übungs-App.

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