Freitag, 29. August 2014

2 Schaukeln und Prinzipien

Der Tag an dem ich alle Prinzipien fallen lasse und in ecuadorianische Konstruktionen vertraue.

Baños, eine Stunde von Ambato entfernt und das Paradies für jeden, der ein bisschen Aufregung mag, mit Höhenangst kein Problem hat und in die ecuadorianische Technik vertraut. Alles 3 trifft nicht auf mich zu. Ich verspüre keinerlei Verlangen mich nur am Fuß gesichert von einer Brücke zu stürzen, an Hand- und Fußgelenken aufgehängt über tiefe Schluchten zu fliegen oder mich in einem großen aufgeblasenem Ring einen reißenden Fluss runterzustürzen. Man möge mich als langweilig bezeichnen, aber ich bin auch ohne diese waghalsigen Aktionen glücklich.

Freitag morgen steigen Willy und ich in den Bus Richtung Baños und ich weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich meine Prinzipien, nämlich auf keine ecuadorianische wilde Konstruktion zu vertrauen, etwas lockern werde. Erstes Ziel: Casa del Árbol, Baumhaus.
Das Baumhaus liegt auf einem Berg, der von wiederum anderen Bergen umgeben ist. Von dem Baumhaus aus wunderbarer Blick, von der Schaukel, die an dem Baumhaus befestigt ist noch viel besser. Ich überwinde meine Höhenangst und lasse mir von Willy einschärfen, dass wenn es wackelt oder komische Geräusche macht ich keine Panik bekommen soll. Ich schaukle und schaukle und so wirklich aufhören mag ich eigentlich nicht mehr. Zu wunderbar dieses Gefühl auf einem einfachen Holzbrett befestigt an 2 langen Seilen über die grünen Berge schauen zu können.



Zweites Ziel: Manto de la Novia. Einer der tausend Wasserfälle in Baños. Ich überwinde zum zweiten Mal an diesem Tag meine Höhenangst, steige in ein offene Seilbahn, die uns auf die andere Seite zum Wasserfall bringt. Auf der anderen Seite wartet eine weitere Schaukel, die diesmal allerdings mehr einen Ausblick auf die umliegenden Bäume gibt.





Nach schaukeln, Ausflug zum Fluss und einer erneuten Fahrt in der Seilbahn stehen wir am Straßenrand. Die Busse die vorbeifahren sind entweder schon voll oder wollen nicht anhalten. Zum Terminal zu laufen wäre zu weit, also strecken wir kurzerhand den Daumen raus und hoffen, dass ein Pick-Up anhält. Trampen am Tag und dazu noch in Baños, dem Touristen-Ort, durchaus nichts ungewöhnliches. Dennoch fühle ich mich ein bisschen Hippie und kaum habe ich meinen Daumen rausgestreckt hält auch schon ein Pick-Up an. Der Fahrer kurbelt das Fester runter und ruft: „ja, los, Sarita, steigt ein, steigt ein.“
Vorbei ist das kurze Gefühl des Hippie-Seins. Der Fahrer der anhält ist einer meiner tausend Onkels aus meiner ersten Gastfamilie, der zufällig an uns vorbeifährt und sich wohl dachte: "Sarita, du bist kein wilder Hippie, hör auf dem Verrücktheiten“ und uns netterweise bis zum Terminal mitgenommen hat. 

Donnerstag, 28. August 2014

4 Kilo Mehl und der Luxus einer Temperaturanzeige am Backofen

Erschreckend, dass mein Küchenvokabular im Spanischen deutlich größer ist, als im Deutschen. Beim Yucca-Brot backen eindeutig wieder feststellbar.


Yucca ähnelt einer Kartoffel. Äußerlich nicht so ganz, aber geschmacklich ein bisschen. Zumindest im entferntesten Sinne. Yucca gibt es in allen Variationen. Frittiert, gekocht, in der Suppe, in Form von Tortillas, aber auch als Brot.
Pan der Yucca backen heißt, mit Gastmama, 2 Kilo püriertem Yucca, Waage, Mehl, Milch, Eiern, Backpulver und Rührer von zu Hause über die große gefährliche Kreuzung bis zu meinem Projekt, dem zu Hause von Evi, zu laufen, um dort alles zu verarbeiten.

Die Kreuzung übrigens gefährlich aufgrund der an der Ecke lauernden Personen, die gerne deinen Tascheninhalt besitzen würden. Meine Familie kennt sie zum Glück alle. So lief ich an einem meiner ersten Tage untergehakt zwischen meinen liebsten Gasteltern über die Kreuzung und wurde jedem Lauernden vorgestellt. Seitdem kann ich sicher sein, dass mein Tascheninhalt nicht den Besitzer wechselt.

Also mit allen Zutaten sicher bei Evi angekommen beginnen wir Yucca mit Milch und Eiern zu vermischen und anschließend ein Berg an Hefe und Mehl zu verkneten. Der Teig an sich nichts besonderes. Der Backofen dagegen schon. Gasbackofen. Keine Temperaturanzeige. Für die richtige Temperatur gilt folgende Regel:
Kannst du deine Hand 10 Sekunden in den Ofen halten ohne dich zu verbrennen ist er noch zu kalt. Verbrennst du dich vor den 10 Sekunden, dann ist er heiß genug. Ich habe die Temperaturanzeige an unserem Backofen zu Hause innerhalb von Sekunden schätzen gelernt.


Dienstag, 26. August 2014

8 Stunden Fahrt, 3 Stunden Sonne, 4 Tage Strand

Von Regen am Strand, einer Strandpromenade, die musikalisch an eine gut bestückte iTunes-Bibliothek erinnert und dem Gefühl, dass es doch mehr Heimat als Urlaub ist.

Habe ich noch vor wenigen Tagen geschrieben, dass an der Küste stets Hochsommer ist, muss ich mich korrigieren. Sofern man Hochsommer nicht mit permanentem Regen, matschigen Straßen und eher kühlen Temperaturen definiert. Der Weg zum Strand hindurch durch die Anden noch sonnig und beeindruckend. Jedes mal aufs Neue. Einheimische und Touristen sitzen aufrecht hinter der Busscheibe und schauen auf die schneebedeckten Spitzen der Berge, die etwas kleineren mit grün überzogenen Berge und den dahinter Asche spuckenden Vulkan.



Unten angekommen beginnen die endlosen Bananenplantagen und die Wolken. Und sie bleiben bis Monatñita, Ecuadors Party-Ort an der Küste, in den man nicht zum Schlafen fährt. Nach über 5 Stunden durchtanzen ist Schlaf allerdings doch notwendig. Wimmelt es am Wochenende auf den Straßen von Monañita nur so von Leuten, ist es nach dem Wochenende erschreckend leer. Freitag und Samstag strömen Menschenmassen durch die kleinen Straßen, ein Cocktailstand neben dem anderen und jeder mit seiner eigenen Musik. Dazwischen die Eingänge zu den einzelnen Bars und Clubs. Auch hier jeder mit ganz eigener Musik. Auf wenigen Metern von Rock über HipHop und Mainstream bis hin zu Salsa, Merengue, Bachata und Reggaeton alles dabei. Am Strand geht es weiter, in kleinen Hütten, die nur aus 4 Pfosten, einem Dach aus Bambus und ordentlichen Boxen bestehen. Die Wolken, der Regen und der etwas frische Wind werden nach den ersten Salsa-Schritten vollkommen egal und nach über 5 Stunden durchtanzen merke ich außer dem Bedürfnis mich endlich hinzulegen nichts mehr.

Da Monañita unter der Woche seinen Reiz verliert, geht es zum Ausruhen 40 Minuten weiter nach Norden. Ayampe, ein winziger ruhiger Ort mit einem Hostel, welches keine Wünsche offen lässt. Hängematte auf dem Balkon, Meeresrauschen im Hintergrund und Filmabend mit verrückten Amerikanern und Kanadiern. Und in dem Moment in dem die Sonne das tut was eigentlich ihre Aufgabe ist und zumindest für 3 Stündchen scheint, verwandelt sich der Ort in einen Ort, den man eigentlich nicht mehr verlassen möchte und es fühlt sich ein bisschen an wie Urlaub. Zumindest bis zum nächsten Tag an dem ich und Willy wieder in den Bus steigen. Da fühle ich mich plötzlich wieder ganz heimisch und als ich die Lichter von Ambato nach mehr als 8 Stunden Busfahrt entdecke, da ist es mit dem Urlaubsgefühl ganz vorbei. Ich bin wieder zu Hause.









Sonntag, 17. August 2014

Von 5 Uhr morgens bis 11 Uhr abends

18 Stunden Sonntags-Familienausflug liegen hinter mir. Um 5 Uhr morgens sitze ich zwischen meinem großen Gastbruder und der anderen deutschen Tochter meiner Gastfamilie im Auto und wir Starten. Pünktlich wie geplant, nicht unbedingt der Normalfall. Hinter uns 2 weitere Autos. Insgesamt 13 Personen, 2 Babys und ein Hund.
Ziel ist Tena, der Eingang zum Regenwald. Bis zu dem Moment in dem plötzlich das Auto hinter uns den Geist aufgibt, habe ich mich gefragt, ob es 7 Uhr morgens nicht auch getan hätte. Ich werde eines besseren belehrt. Das Auto hinter uns hält an, wir ebenfalls. In der Ferne beginnt der Regenwald, die Sonne kommt langsam raus und es wird drückend warm. Da stehen wir also nicht mehr weit vom Ziel, mitten auf der Straße und erste Maßnahme ist sichern der „Gefahrenstelle“. Sprich der große pinke Zwillings-Kinder-Wagen dient als Warndreieck, ausgerupfte Büsche als Schutz, damit die Autofahrer nicht zu nah an die mittlerweile versammelte Männertraube kommen. Nach Abstecher zur nächsten Werkstatt, um Werkzeug auszuleihen und dank meinem talentierten Gastpapa, der alle reparieren kann, geht es nach 2 Stunden weiter. Das reparierte Auto schafft es bis nach Tena ins Schwimmbad mit Flusswasser, nach Misahualli, einem kleinen Ort direkt am Río Napo und wieder zurück nach Hause.
Kinderwagen, Grasbüschel und Menschentraube


talentierter Gastpapa


Río Napo 

Misahuallí
Schwimmbad in Tena

Samstag, 16. August 2014

Vom Zurückkehren nach 351 Tagen

Ich wache auf, zwischen Actionheldenfiguren, der Hahn kräht und die Müllabfuhr spielt ihre Erkennungsmelodie ab. Ich hatte es fast verdrängt. Halb 7 in Ecuador. Ich bin zurück, nach genau 351 Tagen. Mein Zimmer gehört wieder meinem Gastbruder, daher auch die Ansammlung unzähliger Actionfiguren, die in meiner ersten Nacht „zu Hause“ auf mich aufgepasst haben. Gegen den Lärm draußen konnten sie leider nichts ausrichten.

Ich traue mich nicht recht ein ganzes Jahr zusammenzufassen, wo fängt man an, wo hört man auf. Dennoch wage ich es, denn 340 Post muss nun wirklich keiner lesen, um einen Eindruck zu bekommen was ich hier mache.

In erster Linien mache ich Urlaub. Vor 351 Tagen habe ich hier hauptsächlich gearbeitet. Cedemusica, mein Projekt, in dem es Dank meinem Chef niemandem langweilig werden kann. Musikunterricht von morgens bis abends, musikalische Früherziehung mit 4-jährigen, Büroarbeiten, Partituren schreiben, Inventur, Wände streichen, täglich 3 bis 4 Mal zur Paket-Station fahren, um überdimensionale Pakete innerhalb Ecuadors zu verschicken: Irgendwas gibt es immer zu tun. Doch das war. Diesmal nicht, zumindest so weit mein Vorhaben.Laut meiner Gastfamilie habe ich den Preis für die freiwilligste Freiwillige bekommen, das heißt ich konnte einfach nicht „nein“ zum meinem Chef sagen. Diesmal wird es anders, auch wenn Rommel, mein Chef, einen gewissen Charme und Witz besitzt, was es einem schwer macht zu sagen „nein, Rommel, danke, ich möchte heute wirklich nicht bis 9 Uhr abends hier bleiben, um die Noten der Schüler in eine endlos lange Liste einzutragen, die du danach eh wieder veränderst, so dass alles umsonst war. Und nein, auch möchte ich danach nicht noch zum 3. Mal den Vulkanstaub von der Terrasse kehren und die Notenständer reparieren.“ Meine Gastfamilie wird mich beschützen, denn schließlich brauche ich Zeit für die Verrücktheiten meiner Gastfamilie. Sonntags-Ausflüge, die auch mal 18 Stunden dauern können, Witze erzählen, bis die Suppe beim Mittagessen kalt genug zum Essen ist, traditionelles Schubkarren-Rennen im Park und Kochen mit meiner Gastmama.

Inwiefern man Urlaub in einem Land machen kann, in dem man ein Jahr gelebt und gearbeitet hat weiß ich noch nicht recht einzuordnen. Denn Urlaub heißt hier in erster Linie nicht neu kennenlernen, sondern wieder erleben.

Das Land zu bereisen heißt in 8 Stunden von 2.600 Metern bis zum Meer runterzufahren und sich in einer anderen Welt zu befinden. Statt des ständigen Frühlings in der Sierra, Hochsommer und Bananenplantage so weit das Auge reicht. 5 Stunden die Berge in die andere Richtung bis auf 598 m runter, Eingang zum Regenwald. Wieder eine andere Welt mit schwüler Hitze, kleinen Orten, die man nur mit dem Boot erreichen kann und Affen, die dort ihr zu Hause haben.

Die Lebenseinstellung vieler Ecuadorianer wieder zu erleben heißt keine Pläne zu machen, es komme wie es wolle, wir machen dennoch das Beste daraus und dabei festzustellen es funktioniert.

Den ecuadorianischen Alltag wieder zu erleben heißt kein Mittagessen ohne Reis, Busse, die mitten auf der Straße anhalten sobald du deinen Arm hochhebst, Musik an jeder Ecke von Salsa bis Reggeaton, die ständig zum Tanzen anregt und Menschen zu begegnen, die in der Regel nicht größer sind als ich. 

Und hier bleibe ich nun für genau 30 Tage. Werde vom Hahn geweckt, von der Müllabfuhr daran erinnert, dass es halb 7 ist, mich über Salsa an jeder Ecke freuen und auch das ein oder andere Mal in den Bus steigen, um die 8 Stunden bis zum Meer zu fahren und Urlaub im klassischen Sinne zu machen.