Samstag, 16. August 2014

Vom Zurückkehren nach 351 Tagen

Ich wache auf, zwischen Actionheldenfiguren, der Hahn kräht und die Müllabfuhr spielt ihre Erkennungsmelodie ab. Ich hatte es fast verdrängt. Halb 7 in Ecuador. Ich bin zurück, nach genau 351 Tagen. Mein Zimmer gehört wieder meinem Gastbruder, daher auch die Ansammlung unzähliger Actionfiguren, die in meiner ersten Nacht „zu Hause“ auf mich aufgepasst haben. Gegen den Lärm draußen konnten sie leider nichts ausrichten.

Ich traue mich nicht recht ein ganzes Jahr zusammenzufassen, wo fängt man an, wo hört man auf. Dennoch wage ich es, denn 340 Post muss nun wirklich keiner lesen, um einen Eindruck zu bekommen was ich hier mache.

In erster Linien mache ich Urlaub. Vor 351 Tagen habe ich hier hauptsächlich gearbeitet. Cedemusica, mein Projekt, in dem es Dank meinem Chef niemandem langweilig werden kann. Musikunterricht von morgens bis abends, musikalische Früherziehung mit 4-jährigen, Büroarbeiten, Partituren schreiben, Inventur, Wände streichen, täglich 3 bis 4 Mal zur Paket-Station fahren, um überdimensionale Pakete innerhalb Ecuadors zu verschicken: Irgendwas gibt es immer zu tun. Doch das war. Diesmal nicht, zumindest so weit mein Vorhaben.Laut meiner Gastfamilie habe ich den Preis für die freiwilligste Freiwillige bekommen, das heißt ich konnte einfach nicht „nein“ zum meinem Chef sagen. Diesmal wird es anders, auch wenn Rommel, mein Chef, einen gewissen Charme und Witz besitzt, was es einem schwer macht zu sagen „nein, Rommel, danke, ich möchte heute wirklich nicht bis 9 Uhr abends hier bleiben, um die Noten der Schüler in eine endlos lange Liste einzutragen, die du danach eh wieder veränderst, so dass alles umsonst war. Und nein, auch möchte ich danach nicht noch zum 3. Mal den Vulkanstaub von der Terrasse kehren und die Notenständer reparieren.“ Meine Gastfamilie wird mich beschützen, denn schließlich brauche ich Zeit für die Verrücktheiten meiner Gastfamilie. Sonntags-Ausflüge, die auch mal 18 Stunden dauern können, Witze erzählen, bis die Suppe beim Mittagessen kalt genug zum Essen ist, traditionelles Schubkarren-Rennen im Park und Kochen mit meiner Gastmama.

Inwiefern man Urlaub in einem Land machen kann, in dem man ein Jahr gelebt und gearbeitet hat weiß ich noch nicht recht einzuordnen. Denn Urlaub heißt hier in erster Linie nicht neu kennenlernen, sondern wieder erleben.

Das Land zu bereisen heißt in 8 Stunden von 2.600 Metern bis zum Meer runterzufahren und sich in einer anderen Welt zu befinden. Statt des ständigen Frühlings in der Sierra, Hochsommer und Bananenplantage so weit das Auge reicht. 5 Stunden die Berge in die andere Richtung bis auf 598 m runter, Eingang zum Regenwald. Wieder eine andere Welt mit schwüler Hitze, kleinen Orten, die man nur mit dem Boot erreichen kann und Affen, die dort ihr zu Hause haben.

Die Lebenseinstellung vieler Ecuadorianer wieder zu erleben heißt keine Pläne zu machen, es komme wie es wolle, wir machen dennoch das Beste daraus und dabei festzustellen es funktioniert.

Den ecuadorianischen Alltag wieder zu erleben heißt kein Mittagessen ohne Reis, Busse, die mitten auf der Straße anhalten sobald du deinen Arm hochhebst, Musik an jeder Ecke von Salsa bis Reggeaton, die ständig zum Tanzen anregt und Menschen zu begegnen, die in der Regel nicht größer sind als ich. 

Und hier bleibe ich nun für genau 30 Tage. Werde vom Hahn geweckt, von der Müllabfuhr daran erinnert, dass es halb 7 ist, mich über Salsa an jeder Ecke freuen und auch das ein oder andere Mal in den Bus steigen, um die 8 Stunden bis zum Meer zu fahren und Urlaub im klassischen Sinne zu machen.

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