Freitag, 12. April 2013

Tag 218

Von meinem Zwiespalt, häuslicher Gewalt und Gewalt gegen meine Schüler.

Da sitzt sie, stimmt ihr Cello, es klingt wie immer ein bisschen schief und wir unterhalten uns über alltägliche Dinge. Alltägliche Dinge wie das Wohlbefinden, was es heute zum Mittagessen gab, was ihr Lieblingssaft ist und dass, wenn sie nicht lernen will geschlagen wird. Das Mädchen, welches vor mir sitzt, ist für ihr Alter eher klein, zierlich und ihre dunklen Augen sind so durchdringend und unbekümmert, dass ich mir einfach nicht vorstellen mag wie sie jemand schlägt.
Auch fragt mein Chef die 4-jährigen Chiquitos vor wem sie mehr Angst habe, ist die Antwort eindeutig: Papa, der schlägt fester.

Häusliche Gewalt ist hier keine Seltenheit. Gewalt gegen die eigene Frau, Gewalt gegen die eigenen Kinder. Gewalt dient als Druckmittel. Nicht nur zu Hause. Auch in den Schulen außerhalb der Stadt, wie mir das kleine Cello-Mädchen erzählt. In meinen Augen und ich hoffe auch in vielen anderen Augen erscheint mir der "Rohrstock" (hier ein Lineal) nicht angemessen, weshalb die Normalität mit der mir das Mädchen dies erzählt umso erschreckender ist.
Jeder weiß es, kaum einer sagt etwas. Der Schutz der Familie ist heilig und was zu Hause passiert ist Sache der Eltern bzw. meistens des Vaters - "Machismo" in seiner eindeutigsten Form. Manch einer sieht auch keinen Grund darin etwas zu sagen, da sie kein Problem an der ganze Sache sehen, selbst so aufgewachsen sind und es so an ihre Kinder weitergeben. Wächst ein Kind mit dem Druckmittel der Gewalt auf, sieht, dass es bei anderen Kindern auch so ist und auch die Mutter ab und an geschlagen wird, entsteht ein Normalitätsgefühl.
Wer sagt dem Kind, dass Gewalt keine Lösung ist, wer sagt dem Kind, dass es Rechte hat auf eine gewaltlose Erziehung und wer bringt dem Kind bei, seine Kinder später anders zu erziehen. Ein Teufelskreis aus dem man meiner Meinung nur herauskommen kann, wenn überhaupt das Problem gesehen wird.

Die Regierung scheint das Problem erkannt zu haben, zumindest hat sie Gesetze geschaffen, doch das reicht nicht, wenn kaum einer davon Gebrauch macht. Auch Einzelne in der Gesellschaft haben es verstanden. Haben verstanden, dass diese Lebensweise keine Zukunft haben darf. Doch ob die breite Masse die Problematik verstehen wird, den "Machismo" verdrängen bzw. einschränken kann und sich traut von den traditionellen Bildern zu lösen ist aus meiner Sicht fraglich.

Säße zu Hause dieses Mädchen vor mir, würde ihr Cello stimmen und mir von der Gewalt gegen sie erzählen,  wüsste ich was zu tun wäre. Ich hätte keine Hemmungen mich einzumischen, mich für sie stark zu machen. Wüsste mein Anliegen ausdrücken zu können und vor allem vom Großteil meines Umfelds verstanden zu werden.
Eines meiner Ziele dieses Jahres ist durchaus der Einblick in die hiesige Kultur und diese Problematik ist eindeutig ein Teil davon. Für mich heißt Einblick jedoch nicht automatisch Akzeptanz.
Auch in meiner Gastfamilie ist der "Machismo" ausgeprägt. Ich dulde ihn. Ich dulde, dass ich weniger "Rechte" habe als mein gleichaltriger Gastbruder und ich dulde das traditionelle Bild der Frau, die da Essen serviert.
Gewalt gegen das kleine Cellomädchen kann und will ich aber nicht dulden und so suche ich nach einer Lösung, einer Lösung, die nicht bedeutet, dass sie vom Musikunterricht ausgeschlossen wird, weil dort zu "freidenkende" Menschen arbeiten.

Nachtrag:
Hier ein Artikel aus dem Jahr 2010 erschienen in welt-sichten, der die Problematik und auch wie ich finde eine sehr interessante Lösungsidee aufzeigt.

http://www.welt-sichten.org/artikel/3109/keine-misshandlungen-mehr-keine-diskriminierung

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